von Julia Trattnig

„Meine Chansons, das bin ich, das ist mein Fleisch, mein Blut, mein Kopf, mein Herz, meine Seele“, sagte Edith Piaf, der so genannte Spatz von Paris („La môme Piaf“), selbst in ihren Memoiren. Und wenn man sich ihre Chansons anhört, dann glaubt man ihr das sofort. Ihre Texte erzählen von den Höhen und Tiefen, die ein Leben kennzeichnen und ihre Stimme besingt diese auf so einprägsame und authentische Art und Weise, dass sofort klar wird, dass vor allem ihr Leben von ganz besonderen Höhen und Tiefen geprägt war.

Piaf kommt im Dezember 1915 in Paris zur Welt. Sie wächst bei ihrer Großmutter in der Normandie auf, da die Eltern als Künstler umherziehen. Diese Kindheit bietet jedoch kein idyllisches Bild eines Landlebens in der Normandie, sondern die harte Realität, da ihre Großmutter ein Bordell betreibt. Mit 15 Jahren geht sie allein als Straßensängerin nach Paris und wird dort mit 20 entdeckt, weshalb sie als Chanteuse in einem Cabaret auftreten konnte. Nur kurz davor war ihre einzige Tochter an einer Hirnhautentzündung gestorben. Ihre fantastische und junge Stimme besingt also mit Recht Trauer und Elend ebenso wie Glück und Lust.

Mit dieser Stimme gelingt ihr in diesen Jahren der Durchbruch. Sie wird bekannt, weit über die Grenzen ihres Landes hinaus. Dafür sorgen Lieder wie „Mon légionnaire“, „Elle fréquentait la rue Pigalle“, „Hymne à l’amour“ oder „Padam, padam“. Und dafür sorgt die nur 1,47 Meter große Piaf selbst mit ihrem einzigartigen Auftreten und kraftvollen Stimme, die kaum zu beschreiben ist. Ihr Freund, der Dichter Jean Cocteau sagte dazu: „Jedes Mal, wenn sie singt, meint man, sie risse sich endgültig die Seele aus dem Leib.“ Und genau das ist es, warum ihre Lieder so sehr unter die Haut gehen.

Das fällt insbesondere bei den späteren Chansons auf: Ihr wohl berühmtestes Lied „La vie en rose“ (1947) spricht immer noch so manch frisch Verliebtem oder Verliebter aus der Seele: „Wenn er mich in die Arme nimmt und ganz leise mit mir spricht, sehe ich das Leben in rosa“. Ja, so ist es. Das Glück, das einen überschwemmt bei einer frischen Liebe, macht die Welt zuckerlrosa.

Noch tiefer geht der Text jenes Liedes, das ihr nach Jahren der Morphium- und Alkoholsucht 1960 zu einem Comeback verhalf „Non, je ne regrette rien“. Besser könnte man Piafs Leben nicht zusammenfassen: „Nein, überhaupt nichts! Nein, ich bereue gar nichts! Nicht das Gute, nicht das Schlechte, das ist mir alles so egal!“ Zu diesem Zeitpunkt war Piaf schon rheuma- und krebskrank, absolvierte einen erfolglosen Entzug nach dem anderen und brach bei Auftritten zusammen. Doch das war es, das ist es. Das ist ihr Lied. Es bezeugt ein voll ausgeschöpftes Leben. Ein Leben, das man bis zum Limit gelebt hat.

Das hat sie getan, die Piaf. Aus tiefster Seele, mit ganzem Herzen. Nämlich wirklich mit ganzem Herzen: „Immer habe ich fieberhaft die große, wahre Liebe gesucht.“ Gefunden hat sie sie nie endgültig, einmal wurde sie ihr genommen. Ihre große Liebe, der Boxer Cerdan, stürzte mit dem Flugzeug ab, als er sich auf dem Weg zu ihr befand. „Nie konnte ich den, den ich liebte, lang in den Armen halten.“ Ja, denn die anderen stieß sie selber von sich, darunter zwei kurzlebige Ehen und unzählige Affären. Georges Moustaki, der für sie das Chanson „Milord“ schrieb, war eine dieser Affären.

Doch nicht nur das, sie förderte ihn auch beruflich. Viele Talente haben ihren Erfolg bzw. Durchbruch Piaf zu verdanken, darunter Yves Montand, Gilbert Bécaud und Charles Aznavour (diese zählen zu den besten Chansonniers, siehe letzter Beitrag). Außerdem war sie eng mit Marlene Dietrich befreundet. Ihr Leben war also wahrhaftig voll, voller Menschen und voller Erlebnisse. Voller Armut und voller Erfolg. Doch nein, sie bereute nichts davon.

„Ich pfeife auf die Vergangenheit!“ Das alles steckt in nur diesem einen Lied. So viel Energie, so viel Lust aufs Leben, mit allem, was es zu bieten hat. Mit nur 47 Jahren ging es für sie jedoch zu Ende, offiziell in Paris, obwohl sie dort bereits tot ankam. Doch la Piaf musste in Paris sterben, woanders war unmöglich und so wurde der Todesort gefälscht. Die vielen BesucherInnen des Friedhofs Père Lachaise bezeugen, das Piaf zu Paris gehört wie der Wein zu Frankreich. Und ebenso dazu gehört diese Lust am Leben, was auch immer komme. Denn das gehört dazu, zum Leben.

P.S.: Sehr sehenswert und gut gemacht ist auch die Verfilmung ihres Lebens mit Marion Cotillard, die dafür den Oscar gewonnen hat, „La vie en rose“ (2007).